gurli octavia - I could be blossoming instead

Weg frei für eine neue Klangperle in der Kategorie ‘traurig schön’. Die Singer-Songwriterin Gurli Octavia aus Dänemark ist in ihrem Heimatland längst keine Unbekannte mehr. Seit einigen Jahren macht sie sich dort erfolgreich einen Namen. Für ihr Album I could be blossoming instead, erschienen bei eighteighteightyeight records, hat sie sich jetzt Jeppe Pilgaard als Co-Producer mit ins Boot geholt und stärkere Popelemente in ihr Werk einfließen lassen.

Das Album ist in vielerlei Hinsicht ein Befreiungsschlag für sie gewesen, vor allem in Bezug auf Vorurteilen bezüglich ihrer Musik. Auch persönliche Verkettungen spielen eine tragende Rolle. Denn der Ausgangspunkt ist kein schöner und das spiegelt sich schon im Titel des Albums wieder.

“I would have that ‘I could be fucking flourishing right now, and instead I’m committing the world’s slowest suicide’ kind of feeling. So the title reminds me that I would rather flourish and that it is by and large a choice; a choice that I have the ability and opportunity to make.” Gurli Octavia

Man spürt, dass dort eine starke Persönlichkeit steht, die einiges durchgemacht hat. Einiges, das ist der Tod ihres Vaters und das Aus ihrer Langzeitbeziehung zur gleichen Zeit. Wenn das Schicksal zuschlägt, dann richtig, und dann hat man als Mensch oft nur zwei Möglichkeiten: ertrinken oder schwimmen. Gurli tat beides. Und während sie zu Drogen griff, flossen Worte und Melodien aus ihr heraus. Der Glaube an sich selbst und an ihre Musik wurde ihr Rettungsanker und langsam bekam sie wieder Boden unter den Füßen.

Gurli_BW1_Hi Res.jpg

“It’s not a classic story of using songwriting as therapy. I’ve just written some songs while it all happened and life thundered past. More recently, daring to have faith in myself in music, and also in life, has been wildly therapeutic and resulted in an album that reflects where I am right now, personally and artistically.”

Gurli Octavia

Albumreview

Gurli hat den Mut aufgebracht, sich der Welt zu zeigen. Mit einer Wahnsinnsstimme, die mal weich und klangvoll, mal zerbrechlich und hauchig klingt, mit ihren Texten, in denen sie ihr Leid so wunderschön ungeschönt beschreibt und mit den Klängen von Gitarre und Klavier, die sie in eine leichte “Popwatte” eingetaucht hat.

Zu Beginn des Albums geraten wir ein wenig in Aufbruchstimmung. Chain beginnt stark mit Bass und Stimme. “remember when you wrapped your love around me like a chain” singt sie und “my wanderlust is out of control”. Wir erinnern uns an den genannten Befreiungsschlag.

Beim Hören des Albums fühle ich mich mehr als einmal an die Musik von Dido erinnert. Melancholisch, ein wenig Pop-Songwriter Mix und dazu eine helle, warme Stimme. Vor allem bei den ersten Tönen von Drinks sowie beim Song We leave the night young kommt mir der Vergleich. Die reife Note kommt mit dem Lied Spinning hinzu. Ein unerwarteter Klang, in den man hineinsinken kann.

Stark und berührend im Text ist sie in Tomorrow I’m a man, in der sich sicherlich die eine oder andere Frau wiederfinden kann. Dort singt sie Zeilen wie “I’m nothing but skin wrapped around anxiety” oder “no one asked the Man to walk in fear, no one told the Man what not to wear”.

Have & Hold scheint, als hätte sie es am tiefsten ihrer Punkte geschrieben. Es ist so verdammt traurig, wie sie mit zittriger Stimme vom Aus ihrer Beziehung singt. Das traurigste jedoch und zugleich eins der schönsten Lieder des Albums ist die Live Aufnahme Most of all. Es ist an ihren verstorbenen Vater gerichtet. “Dear father, I just wanted to let you in on some things, your’re probably wondering how I’ve been”. Es ist schwer, von diesem Lied nicht berührt zu werden. In Lilac rose, ebenfalls einer der Top Songs des Albums, erkennt sie dann, dass sie loslassen muss: “I must let go to survive this”. Es ertönen ruhige Gitarren- und Klavierklänge, während sie sich nach oben schraubt, quasi aus der Asche erhebt. Einfach wunderschön…

Obwohl die meisten Songs traurig gestimmt sind, spürt man gegen Ende auch die Hoffnung auf Besserung. X-Ray, das letzte Lied des Albums, ist 2020 auch als Single erschienen. Anfangs klang mir das Lied zu sehr nach Mainstream, aber man kommt rein und dann setzt es sich fest. Das Lied hat eine erhöhte Ohrwurmtendenz: “good for you, showed your heart on an x-ray, looking broken to me, what can I say”.

Tja, was kann ich sagen? Es ist ein kleines Meisterwerk geworden, in dem selbst die Interludes herausstechen. Die Musik bleibt zumeist im Hintergrund, ihre Stimme und Texte stechen hervor. Es ist Singer-Songwriter-Material mit einer erwachsenen Note Pop.

Sie könnte eine dänische Dido werden, aber vermutlich wird sie einfach eine erfolgreiche Gurli.

Ein weiterer Lieblingssong ist übrigens I wasn’t ready. Es spiegelt alles wieder, weswegen sie in meiner Sammlung ist: ein zurückhaltendes Musikarrangement und ihre wunderbare Stimme, die fast an ihrem eigenen Text zerbricht. “I’m handing over his heart in return for mine. I wasn’t ready”.

Es scheint, dass sie es jetzt ist. Für uns.

Zurück
Zurück

nununu - kiire

Weiter
Weiter

onemillionsteps - Vanitas